Nuraghenkultur auf Sardinien

Überreste der Nuraghenkultur auf Sardinien: Etwa 7000 Nuraghen (Turmbauten), 400 Gigantengräber und 40 Brunnen sind bisher bekannt

Sardinien wird gerne als das größte Museum unter freiem Himmel bezeichnet. Über die gesamte Insel verteilt, findet man die Überreste der Nuraghenkultur, die auf die Zeit von 1800 bis 500 v. Chr. datiert wird. In der Jungsteinzeit (6000 - 2700 v. Chr.) entwickelten sich die ersten Kulturen auf Sardinien, z.B. die Ozieri-Kultur (oder San Michele Kultur), benannt nach Funden in der Grotta di San Michele bei Ozieri in der Provinz Sassari. Die dort gefundene Keramik gilt als technisch perfekt und von einem höheren Niveau als die späterer Kulturen, wie der Bonnanaro-Kultur, die in die Zeit von 2200 bis 1600 v. Chr. eingeordnet wird. Zwischen 1800 v. Chr. und 1600 v. Chr. entwickelte sich die Nuraghenkultur, die bis ca. 500 v. Chr. anhielt. Benannt wurde diese Periode nach den typischen Türmen, den Nuraghen. Der ursprüngliche Zweck der Nuraghen ist umstritten. Man vermutete, dass es sich um Kultstätten oder Grabanlagen handeln könnten, wahrscheinlicher ist aber, dass es Wohn- und Befestigungsanlagen waren. Rund 7.000 Nuraghen sind auf Sardinien bekannt. Wir haben einige dieser historischen Stätten besucht.


Nuraghe La Prisgiona


Die Nuraghe La Prisgiona liegt bei Arzachena in der Provinz Sassari. Sie ist noch nicht vollständig ausgegraben. Man vermutet eine Nutzung zwischen 1400 v. Chr. und 790 v. Chr. Die Nuraghe besteht aus einem runden Hauptturm (Mastio) und zwei Nebentürmen. Im Innern des Hauptturms gibt es ein kleines Atrium und eine Treppe, die zum Obergeschoss führt. Die Kammer des Turms ist 7 Meter hoch. Um die Nuraghe herum befindet sich das Dorf. Es besteht aus 90 Einzelbauten, darunter Wohn- und Werkstätten, eine Versammlungshütte und ein 8 Meter tiefer Brunnen. Auf dem Boden des Brunnens wurden Keramikgefäße gefunden, darunter Amphoren und Krüge. Interessant ist, dass an den Keramikfunden Spuren von Restaurierungen gefunden wurden. Das deckt sich mit anderen Funden in den Hütten. In einer der Hütten werden Reste eines Lehmziegelofens vermutet, der wohl zum Brennen von Keramikgefäßen genutzt wurde. In einer anderen Hütte wurden vermutlich beschädigte Gefäße mittels Bleiklammern restauriert.

Rekonstruktion der Nuraghe La Prisgiona
oben: Rekonstruktion der Nuraghe
unten: Abbild der heutigen Anlage

Blick auf die Nuraghe La Prisgiona
Blick auf die Nuraghe La Prisgiona

Hauptturm und Außenmauer
Hauptturm und Außenmauer

Der Hauptturm
Der Hauptturm

Eingang zum Hauptturm
Eingang zum Hauptturm

Blick in die Kuppel des Hauptturms
Blick in die Kuppel des Hauptturms

Blick in den Versammlungsraum
Blick in den Versammlungsraum

Eine der vielen Kammern
Eine der runden Wohnungen

Weitere Rundbauten
Weitere Rundbauten


Nuraghe Albucciu


Nicht weit weg von der Nuraghe La Prisgiona, befindet sich die Protonuraghe Albucciu. Protonuraghen oder Korridornuraghen sind älter als die klassischen Turmnuraghen. Sie wurden häufig unter der Einbeziehung von Felsen gebaut. Die Nuraghe Albucciu stammt aus der mittleren Bronzezeit (15. Jh. v. Chr.). Der Zugang erfolgt über eine trapezförmige Vorhalle. Vermutlich war der Zugang  durch eine Verschlussvorrichtung gesichert, da Spuren der Widerlager und einer Hubvorrichtung für einen Seilzug gefunden wurden. Von der Vorhalle gehen mehrere Gänge ab. Im Erdgeschoss sind mehrere Nischen und an der Südseite ein großer Raum. Eine Treppe führt ins Obergeschoß zu einem großen Freiluftbereich (Terrasse) und mehreren Räumen, in denen vermutlich die wichtigsten täglichen Aktivitäten stattfanden, zum Beispiel die Verarbeitung von Milch und Getreide und die Zubereitung von Brot und anderen Lebensmitteln. Neben der Nuraghe wurden die Überreste kreisförmiger Hütten gefunden, die das Nuraghendorf bildeten.

Die Nuraghe ist an einen Granitfelsen angebaut
Die Nuraghe ist an einen Granitfelsen angebaut

Die Quader zum Bau der Nuraghe wurden aus dem Granitfelsen hergestellt
Die Quader zum Bau der Nuraghe wurden aus dem Granitfelsen hergestellt

Reste des Rundhüttendorfes
Reste des Rundhüttendorfes 

Eingang zur Nuraghe Albucciu
Eingang

Blick vom Rundhüttendorf auf die Nuraghe
Blick vom Rundhüttendorf auf die Nuraghe

Durchgang in einen anderen Raum im Obergeschoß
Durchgang in einen anderen Raum im Obergeschoß

Im Obergeschoß
Im Obergeschoß

Auf der Dachterrasse
Auf der Dachterrasse

Blick von der Dachterasse auf das Rundhüttendorf
Blick von der Dachterasse auf das Rundhüttendorf


Gigantengräber


Aus der Bonnanaro-Kultur stammen die ersten Gigantengräber (oder Riesengräber). In der Nuraghenzeit wurden diese weiterentwickelt und teilweise baulich verändert. Sie dienten als Massengräber und wurden auch als Beinhäuser verwendet, die bis zu 200 Skelette enthalten konnten. Die Vorderseite ist gewöhnlich als Halbkreis (Exedra) gestaltet. Man vermutet, dass dieser Halbkreis die Hörner eines Stiers symbolisieren. Dazu passt, dass die Gräber nach dem Aldebaran, einem Stern im Sternbild Stier ausgerichtet wurden. In der Mitte der Exedra befindet sich eine riesige Stele, die im unteren Teil einen Zugang enthält. Sie gilt als symbolischer Durchgang für die Welt der Lebenden in das Jenseits. Durch die Öffnung konnten Opfergaben für die Toten hineingelegt werden. Die dahinter liegenden Grabkammern waren etwa 20 Meter lang.


Coddu Vecchiu

Das Gigantengrab Coddu Vecchiu liegt bei Arzachena in der Provinz Sassari. Die zentrale Stele hat eine Höhe von 4 Metern. Die Galerie ist 10 Meter lang und ca. 4 Meter breit. Damit ist Coddu Vecchiu eine eher kleine Anlage. Erbaut wurde die Grabstätte um 1800 v. Chr. Die Exedra wurde später (vermutlich zwischen 1600 und 1400 v. Chr.) hinzugefügt. Die Anlage war die Ruhestätte für die Toten aus dem nahe gelegen Dorf La Prisgona.

Gigantengrab Coddu Vecchiu
Gigantengrab Coddu Vecchiu

Vorderansicht
Vorderansicht

Zugang zur Grabstätte
Zugang zur Grabstätte

Seitenansicht
Seitenansicht

Rückseite
Rückseite

Rückseite der Stele
Rückseite der Stele


Li Lolghi

Auch das Das Gigantengrab Li Lolghi liegt bei Arzachena in der Provinz Sassari. Wie in Coddu Vecchiu begann der Bau in der frühen Bronzezeit zwischen 1800 und 1600 v. Chr. Zunächst entstand eine etwa fünf Meter lange rechteckige Kammer, die mit Steinplatten bedeckt war. Um 1400 v. Chr. wurde die Anlage erweitert um einen korridorförmigen Anbau der Kammer und die Exedra. Die Gesamtlänge der Anlage beträgt 27 Meter. Bei Ausgrabungen wurden Grabbeigaben gefunden, unter anderem Vasen und Trinkschalen. Vermutlich gehörte dieses Gigantengrab zu einer Siedlung, die sich etwa 1,5 Kilometer entfernt befand.

Das Gigantengrab Li Lolghi
Vorderansicht

Das Gigantengrab Li Lolghi
Rückansicht


Su Monte de s'Ape

Su Monte de s'Ape befindet sich südwestlich des Flughafens Olbia. Mit einer Länge von 28 Metern ist es eines der größten Gigantengräber Sardiniens. Wie Coddu Vecchiu, wurde auch diese Anlage in zwei unterschiedlichen Epochen errichtet. Das Grab stammt aus dem 19. Jahrhundert v. Chr., die Exedra aus dem 15. Jahrhundert v. Chr..

Die zentrale Stele ist nicht mehr vorhanden. Auch drei der ursprünglich 10 Stelen fehlen. Der lange Korridor, der als Grabkammer genutzt wurde, ist nahezu komplett. Er wurde mit Felsplatten überbaut und diese wiederum mit Steinen und Erde bedeckt. Die halbkreisförmige Platz vor der Grabkammer diente als Kultstätte zur Überreichung von Gaben an die Verstorbenen.

Modell des Gigantengrabes
Modell des Gigantengrabes

Gigantengrab Su Monte de s'Ape
Gigantengrab Su Monte de s'Ape

Hier fehlt die zentrale Stele
Hier fehlt die zentrale Stele

Blick in die Grabkammer
Blick in die Grabkammer

Die Rückseite
Die Rückseite



Tempietto Malchittu


Das Modell des Tempels
Das Modell des Tempels

Nur rund 1500 Meter entfernt von der Nuraghe Albucciu befindet sich der Tempel Malchittu. Er wurde errichtet in den Bergen von Arzachena. Auf der SS125 befindet sich kurz vor dem Ortseingang von Arzachena (von Osten kommend) das Besucherzentrum (Ufficio Turismo). Die Nuraghe Albucciu befindet sich direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite und kann durch eine Unterführung bequem erreicht werden.

Vom Besucherzentrum führt ein sehr schöner Weg hinauf zum Tempel. Man benötigt etwa 30 bis 40 Minuten. Das letzte Stück ist sehr steil und man muss einige Felsen erklimmen, um den Tempel zu erreichen. Der Weg führt vorbei an den typischen Granitfelsen und bietet darüber hinaus eine wunderbare Aussicht. Unterwegs gibt es viele Pflanzen und Tiere. Neben Vögeln und Insekten sind insbesondere Eidechsen, Skinke und Geckos häufige Wegbegleiter. Im Nachhinein war der Weg nicht weniger interessant als die Tempelanlage.

Korkeiche auf dem Weg zum Tempel
Korkeiche auf dem Weg zum Tempel

Felsformationen auf dem Weg zum Tempel
Felsformationen auf dem Weg zum Tempel

Felsformationen auf dem Weg zum Tempel
Felsformationen  auf dem Weg zum Tempel

Ruineneidechse (Podarcis siculus)
Ruineneidechse
(Podarcis siculus)

Mauergecko (Tarentola mauritanica mauritanica)
Mauergecko
(Tarentola mauritanica mauritanica)

Gefleckter Walzenskink (Chalcides ocellatus tiligugu)
Gefleckter Walzenskink
(Chalcides ocellatus tiligugu)


Erbaut wurde der Tempel zwischen dem 16. und 14. Jahrhundert v. Chr. und vermutlich bis zu. 9. Jahrhundert  v. Chr. genutzt. Er ist 15 Meter lang und 3 Meter breit. Im Vergleich zu anderen Tempel weist er einige Besonderheiten auf. Während andere Tempel einen rechteckigen Grundriss haben, hat dieser eine Apsis, also einen halbkreisförmigen Abschluss. Im Inneren gibt es eine Unterteilung, d.h. der Tempel besteht aus einem viereckigen Atrium und einem rechteckigen Raum. Im Inneren gab es Sitzreihen an den Wänden und eine Feuerstelle. Ursprünglich war das Dach mit Holzbalken gedeckt. Diese sind nicht mehr vorhanden. Dafür steht heute eine große Steineiche in der Apsis und bildet mit ihren Ästen und Blättern ein natürliches Dach. Nur wenige Meter neben dem Tempel wurde eine Nuraghe entdeckt und gleich daneben bronzezeitliche Grabstellen. Von beiden ist allerdings kaum noch etwas erhalten.

Ausblick vom Tempel
Ausblick vom Tempel

Blick auf das Atrium, dahinter der Tempelraum
Blick auf das Atrium, dahinter der Tempelraum

Durchgang vom Atrium in den Tempelraum
Durchgang vom Atrium in den Tempelraum

Im Innern des Tempelraums
Im Innern des Tempelraums

Blick aus dem Tempelraum auf das Atrium
Blick aus dem Tempelraum auf das Atrium

Mauerreste, möglicherweise von der nicht mehr erhaltenen Nuraghe
Mauerreste, möglicherweise von der nicht mehr erhaltenen Nuraghe



Castello di Pedres


Zwischen den Wiesen und Weingärten nahe Olbia und gleich neben der Nuraghe Su Monte de s'Ape, befinden sich die Überreste des mittelalterlichen Wehrkastels Castello di Pedres. Es wurde errichtet auf einem 89 m hohen Felsvorsprung. Ursprünglich hatte die Burg vier Türme und zwei Innenhöfe, einen oberen und einen unteren. Auf dem oberen Innenhof befinden sich noch zwei zerstörte Räume, einer mit Kreuzgewölbe, eine Zisterne zum Sammeln von Regenwasser und der Wehrturm, der ursprünglich vier Stockwerke hatte und von dem aus das Gebiet bis zum Golf von Olbia überwacht werden konnte.

Castello di Pedres wurde erstmals 1296 urkundlich erwähnt. Bis 1339 war die Festung im Besitz der Familie Visconti aus Pisa: zunächst Ugolino, genannt Nino Visconti, dem Richter von Gallura und später seine Tochter Giovanna. Als diese 1339 starb, ging die Anlage in den Besitz des Johanniterordens (Orden vom Hospital des Heiligen Johannes zu Jerusalem) über. Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts übernahmen die aus Spanien stammende Aragonesen die Burg und letztlich wurde sie vom Judikat Arborea (giudicato di Arborea), einem damals unabhängigen Regierungsbezirk Sardiniens besetzt. Im 15. Jahrhundert wurde die Burg aufgegeben.

Der Wehrturm hat heute nur noch eine Höhe von 10 Metern, außerdem gibt es mehrere Häuserreste und eine Zisterne. Der Zugang erfolgte früher über eine Zugbrücke an der Westseite und heute über eine Treppe an der Nordseite. Das Wehr selbst ist weit weniger spektakulär als die Aussicht von hier oben. Auf der östlichen Seite hat man einen schönen Blick auf Olbia und in westlicher Richtung zum Monte Limbara.

Castello di Pedres
Castello di Pedres

Treppe zum Wehrturm
Treppe zum Wehrturm

Der Wehrturm
Der Wehrturm

Haus im Castello di Pedres
Ein Haus im Castello di Pedres

Blick in Richtung Monte Limbara
Blick in Richtung Monte Limbara

Blick in Richtung Olbia
Blick in Richtung Olbia