Grundlagen der Systematik

Begriffe und Strukturelemente der biologischen Systematik

Systema Naturae

In der biologischen Systematik (griechisch: systematikos = geordnet) werden Lebewesen in ihrer Vielfalt beschrieben und auf Grund definierter Merkmale zu Gruppen zusammengefasst. Diese Gruppen (Taxa) werden in einem hierarchischen System angeordnet.

Die moderne Systematik fand ihren Ursprung in der 1735 erstmals veröffentlichten "Systema naturae", in der der schwedische Botaniker und Forscher Carl von Linné eine neue Bestimmungsmethode für Pflanzen nach der Struktur der Blütenorgane (Blütenblätter, Staubblätter, Stempel) beschrieb. Die 10. Auflage (1758) gilt für die Zoologie als Meilenstein. Tiere wurden nicht nach Lebensräumen, sondern nach morphologischen Merkmalen (Säugetiere, Vögel usw.) gruppiert. Für die Benennung entwickelte er ein noch heute gültiges System aus zweiteiligen Namen, wobei der erste Teil die Gattung und der zweite Teil die Art bezeichnet. Darüber hinaus legte er fest, wie neue Arten zu beschreiben sind.


Das Kladogramm

Kladogramme sind grafische Abbildungen, um die Verwandtschaftsverhältnisse auf Basis der Evolutionsbiologie darzustellen. Neue taxonomische Gruppen, wie zum Beispiel neue Arten, sind dadurch entstanden, dass sich bestehende Arten aufgespalten und auseinander entwickelt haben. Umgekehrt lassen sich höhere taxonomische Einheiten auf eine gemeinsame Stammart zurückführen. Da diese Entwicklungen in der Vergangenheit liegen und logischerweise nicht mehr direkt beobachtet werden können, müssen Indizien gefunden werden, die plausible Rückschlüsse zulassen. Dabei kann es sich um gestalterische (morphologische) Merkmale handeln, wie das Vorhandensein von Flügeln, um charakteristische Merkmale zum Stoffwechsel oder um spezielle genetische Informationen.

Das Beispiel zeigt ein vereinfachtes Kladogramm für die rezenten Menschenartigen.

Zunächst zweigte die Linie der Gibbons ab. 2020 wurde ein fossiler Backenzahn in Nordindien gefunden. Sein Alter wird auf etwa 13 Millionen Jahren geschätzt und gehört dem ältesten bekannten Vorfahren der heutigen Gibbons, genannt Kapi ramnagarensis.

Die Menschenaffen trennten sich in eine afrikanische und eine asiatische Linie. Die Orang-Utans sind die einzigen Überlebenden der asiatischen Linie (Ponginae).

Auf der afrikanischen Linie (Homininae) kam es zur Entstehung von Gorillas, Schimpansen und Menschen.

Kladogramm Hominoidea

Zunächst vollzog sich die Abspaltung der Gorillas. Überreste von Chororapithecus, des ältesten derzeit bekannten Vorfahren der Gorillas, wurden zwischen 2005 und 2007 in Äthiopien ausgegraben. Sein Alter wird auf ca. 10 Millionen Jahre geschätzt. Die Trennung von Schimpansen und Menschen fand vor etwa 6 Millionen Jahren statt. Aus den Australopithecina gingen Homo rudolfensis und Homo habilis hervor, die frühesten Vertreter der Gattung Homo. Die Schimpansen gelten als die nächsten Verwandten des Modernen Menschen. Ihre Trennung in die beiden Arten Pan troglodytes und Pan paniscus fand vor etwa 1,7 Millionen Jahren statt, als der Kongo-Fluss eine natürliche Grenze zu bilden begann und die Populationen links und rechts des Flusses voneinander getrennt wurden.


Strukturelemente

Nachfolgend sind die klassischen Elemente der biologischen Systematik erläutert. Im Einzelfall wird sich dieser Aufbau durch ein oder mehrere Zusatzebenen verfeinern, wie z. B. Zwischenordnung, Überfamilie oder Reihe. Darüber hinaus werden - unabhängig von der Hierarchieebene - zusammenfassende Elemente auftreten, die in den Darstellungen meist als "ohne Rang" bezeichnet werden. Damit soll eine Zusammengehörigkeit gekennzeichnet werden, ohne dabei die grundsätzliche Struktur aufzuweichen. Je nach Autor unterscheiden sich die Zuordnungen. Was bei einem Autor als Familie bezeichnet wird, ist bei einem zweiten eventuell "nur" eine Unterfamilie. Eines bleibt aber sicher: Die einzige real existierende Ebene ist die Art bzw. die Unterart.

Domäne (domain)

  • Die Domäne ist die höchste Klassifizierungskategorie der Lebewesen. Es werden drei Domänen unterschieden: Bacteria (Bakterien), Archaea (Archaeen) und Eukaryota (Eukaryoten). Algen, Pilzen, Pflanzen und Tieren zählen zu den Eukaryoten. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass der Ursprung der Eukaryoten innerhalb der Archaeen liegt. Danach würden nur zwei Domänen existieren.
  • Ausführliche Informationen zu den Domänen gibt es im Kapitel: Von LUCA bis Metazoa

Reich (regnum)

  • Ein Reich gibt es nur in der Domäne der Eukaryonten und beschreibt Organismen, die grundlegend in ähnlicher Weise funktionieren, zum Beispiel Fungi (das Reich der Pilze) oder Plantae (das Reich der Pflanzen). Aufgrund der Neustrukturierung der Eukaryoten durch Adl et al. wurde das Reich als Ordnungsbegriff weitgehend aufgehoben.

Stamm (phylum)

  • Der Stamm ist die hierarchische Stufe zwischen Reich und Klasse. Jedes Lebewesen wird einem Stamm zugeordnet. Zur weiteren Detaillierung werden zudem Stammgruppen und Unterstämme beschrieben. Bei Pflanzen, Pilzen und in der Mikrobiologie wird diese Ebene auch als Abteilung (Divisio) bezeichnet.
  • Beispiel: Dem Reich der Metazoa (Vielzelligen Tiere) sind u.a. zugeordnet:
    • der Stamm der Chordata (Chordatiere)
    • der Stamm der Porifera (Schwämme)
    • der Stamm der Mollusca (Weichtiere)

Klasse (classis)

  • Die Klasse ist die hierarchische Stufe zwischen Stamm und Ordnung. Zur detaillierten Gruppierung werden zudem Überklassen und Unterklassen beschrieben.
  • Beispiel: Zu den Landwirbeltieren (Tetrapoda) zählen:
    • die Klasse Lissamphibia (Amphibien)
    • die Klasse Mammalia (Säugetiere)
    • die Klasse Aves (Vögel)
    • die Klasse Reptilia (Reptilien)

Ordnung (ordo)

  • Die Ordnung ist die hierarchische Stufe zwischen Klasse und Familie. Zur weiteren Detaillierung werden zudem Über- und Unterordnungen sowie Infra- oder Zwischenordnungen beschrieben.
  • Beispiel: Der Klasse Reptilia (Reptilien) sind u.a. zugeordnet:
    • die Ordnung Squamata (Schuppenkriechtiere)
    • die Ordnung Sphenodon (Brückenechsen)
    • die Ordnung Crocodylia (Krokodile)

Familie (familia)

  • Die Familien ist die hierarchische Stufe zwischen Ordnung und Gattung. Als zusätzliche Strukturelemente können Über- und Unterfamilien verwendet werden. Der Name endet bei:
    • einer Überfamilie auf -oidea
    • einer Familie auf -idae
    • einer Unterfamilie auf -inae.
  • Beispiel: Innerhalb der Ordnung Squamata (Schuppenkriechtiere) sind u.a. zugeordnet:
    • die Familie Agamidae (Agamen)
    • die Familie Iguanidae (Leguanartige)
    • die Familie Chamaeleonidae (Chamäleons)
      • die Unterfamilie Chamaeleoninae (Echte Chamäleons)
      • die Unterfamilie Brookesiinae (Stummelschwanzchamäleons)

Tribus (tribus)

  • Eine Tribus ist eine Rangstufe zwischen Unterfamilie und Gattung. Der Name endet bei:
    • einer Tribus auf -ini
    • einer Untertribus auf -inae.

Gattung (genus)

  • Eine Gattung enthält eine oder mehrere Arten.
  • Beispiel: Innerhalb der Unterfamilie Chamaeleoninae (Echte Chamäleons) sind u.a. zugeordnet:
    • die Gattung Chamaeleo
    • die Gattung Furcifer

Art (species)

  • In der Literatur findet man zwei Definitionen des Begriffes Art:
    • Eine Art beschreibt eine Gruppe von Lebewesen, die so viele unverwechselbare morphologische bzw. physiologische Merkmale gemeinsam haben, dass sie sich gegenüber jeder anderen Gruppe abgrenzen.
    • Es zählen die Lebewesen zu einer Art, die sich auf natürliche Weise unter Zeugung fruchtbarer Nachkommen fortpflanzen. Dazu zwei Beispiele:
      • Pferd und Esel können gemeinsame Nachkommen haben (Maultier bzw. Maulesel), diese aber sind unfruchtbar. Esel und Pferd sind somit verschiedene Arten.
      • Löwe und Tiger sind (unter künstlichen Bedingungen) kreuzbar (Liger bzw. Tigon). Diese können sogar fruchtbar sein. Da in gemeinsamen Verbreitungsgebieten keine natürlichen Hybriden nachgewiesen werden konnten, wird angenommen, dass es keine natürliche Paarung gibt. Somit gelten Löwe und Tiger als verschiedene Arten.
  • Wenn eine Gattung nur eine Art enthält, nennt man sie monotypisch.
  • Alle Arten haben einen zweiteiligen Namen, der neben der Bezeichnung noch ein artspezifisches Zusatzwort (Epipheton) enthält.
    • Beispiel: Gattung Chamaeleo kennt u.a. folgende Arten:
      • Chamaeleo calyptratus (Jemenchamäleon)
      • Chamaeleo namaquensis (Wüstenchamäleon)

Unterart (subspecies)

  • Die Unterart ist die niedrigste Rangstufe und wird nur bei Bedarf eingesetzt. Sie beschreibt die meist lokale und damit geographisch begrenzte Population einer Art.
  • Dem Artnamen wird ein dritter Namensteil hinzugefügt. Bei der Nominatform (= die zuerst beschriebene Art) wird der zweite Namensteil (hier: calyptratus) wiederholt.
  • Beispiel: Die Art Chamaeleo calyptratus (Jemenchamäleon) kennt die Unterarten:
    • Chamaeleo calyptratus calyptratus (= die Nominatform)
    • Chamaeleo calyptratus calcarifer

Häufig verwendete Begriffe und Abkürzungen

cf.

  • Abkürzung vom lateinischen confer (vergleiche!)
  • cf. wird zwischen den Gattungs- und den Artnamen gesetzt, um ein Exemplar zu beschreiben, das schwer zu identifizieren ist bzw. die Identifizierung nicht sicher ist.
  • Beispiel "Barbus cf. holotaenia":
    • Das Exemplar zählt zur Gattung Barbus (Karpfen), vermutlich Barbus holotaenia. Das ist aber nicht sicher.

comb. nov.

  • combinatio nova
  • Kennzeichen für eine neue "Kombination", wenn z. B. eine Art einer anderen Gattung zugeordnet wird
  • Beispiel Protoblepharus nyingchiensis (comb. nov.).
    • Diese Art wurde zuvor unter der Bezeichnung Asymblepharus nyingchiensis geführt.
    • Der Gattungsname ist neu, der Artname bleibt, daher ist es eine neue "Kombination".

forma domestica

  • Von Menschen gezüchtete Haustiere erhalten keine eigenen Gattungsnamen.
  • Der Name der Stammart verbleibt und wird mit dem Zusatz forma domestica oder kurz f. domestica ergänzt.
  • Häufig wird bei Züchtungen der Begriff "Rasse" oder "Haustierrasse" verwendet, anstelle von "Art" oder "Unterart".
  • Beispiele:
    • die Hausgans (Anser anser f. domestica) ist die domestizierte Form der Graugans (Anser anser)
    • die Warzenente (Cairina moschata f. domestica) ist die domestizierte Form der Moschusente (Cairina moschata)
    • Schweinerassen wie Mangalitza oder das Schwäbisch-Hällisches Landschwein (Sus scrofa f. domestica) sind Züchtungen, die aus dem Wildschwein (Sus scrofa) hervorgegangen sind.

Incertae sedis

  • Mit incertae sedis wird eine unsichere Stellung oder unklare Zuordnung beschrieben. Dieser Zustand ist in allen Strukturebenen denkbar.
  • Beispiel: In der Familie Colubridae (Nattern) sind mehrere Unterfamilien beschrieben. Die Gattung Cyclocorus gehören zwar zur Familie Colubridae an, kann aber nicht zweifelsfrei zu einer Unterfamilie zugeordnet werden. Sie wird daher mit dem Zusatz incertae sedis gekennzeichnet.

nomen dubium

  • zweifelhafter Name
  • ein Name, der keinem Taxon sicher zugeordnet werden kann
  • der Name ist bis auf weiteres gültig, da er den formalen Ansprüchen an eine wissenschaftliche Erstbeschreibung genügt

nomen oblitum

  • vergessener Name
  • ein Name, der nicht mehr genutzt wird

sensu

  • sensu auctorum: im Sinne der Autoren
  • sensu communi: nach allgemeiner Auffassung
  • sensu lato: im weiteren Sinne
  • sensu stricto: im engeren Sinne

Protonym

  • Als Synonym wird eine Bezeichnung für eine Art verstanden, die nicht (mehr) gültig ist. Dennoch kann es (ältere) wissenschaftliche Abhandlungen geben, die den nicht mehr gültigen Namen verwenden oder sich darauf beziehen
  • Beispiel: Das Carolinasumpfhuhn hat die wissenschaftliche Bezeichnung Porzana carolina. Ein Protonym ist Rallus carolinus.

sp. nov. / ssp. nov.

  • species nova / subspecies nova
  • Kennzeichen für eine neue (neu beschriebene) Art / Unterart

Synonym

  • Als Synonym wird eine andere Bezeichnung für ein Taxon verstanden.
  • Wenn beispielsweise festgestellt wird, dass es sich bei zwei unterschiedlich benannten Arten tatsächlich um die gleiche Art handelt, bleibt der zuerst publizierte, also der älteste Name erhalten. Dieser wird als "senior synonym" bezeichnet. Die übrigen, also die jüngeren Namen, werden als "junior synonym" bezeichnet.
    • Mögliche Ursachen können sein:
      • Die gleiche Art wurde (unwissentlich) von zwei verschiedenen Autoren beschrieben.
      • Aufgrund neuer Forschungsergebnisse wird festgestellt, dass es sich bei unterschiedlich benannten Arten tatsächlich um die gleiche Art handelt.
      • Die Art wird einer anderen Gattung zugeordnet. Der bisherige Name gilt dann als Synonym.
  • Beispiel: Für die Perleidechse Timon lepidus werden gemäß reptile-database u.a. folgende Synonyme angegeben:
    • Lacerta lepida
    • Lacerta ocellata

Taxon

  • aus dem Griechischen: "táxis" (Anordnung, Rang)
  • Plural: Taxa
  • beschreibt in der Systematik eine Gruppe von Lebewesen, die gemeinsame Merkmale aufweisen. Unterschieden werden Formtaxa und echte Taxa
  • Formtaxa:
    • Die Gruppe hat (zumindest ein gemeinsames Merkmal)
    • Diese Merkmale haben einen eher formalen Charakter
    • Das bedeutet nicht, dass die Mitglieder dieser Gruppe auch stammesgeschichtlich zusammengehören
    • Beispiele:
      • Die Wirbellosen sind Lebewesen ohne Wirbelsäule
      • Die Einzeller sind Lebewesen, die nur aus einer Zelle bestehen
  • Echte Taxa:
    • Es werden ausschließlich die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse abgebildet, das bedeutet, als gemeinsame Merkmale werden nur Fortpflanzungs- und Abstammungsgemeinschaften akzeptiert; die Gruppe bildet einen gemeinsamen Genpool oder sie enthalten alle Nachkommen eines gemeinsamen Vorfahren
    • Diese Taxa werden in der Kladistik verwendet

Typus

valide

  • Bezeichnung eines Taxon ist gültig bzw. anerkannt.

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