Von Tetrapoda bis Squamata

Die Systematik der Lebewesen - von den Landwirbeltieren (Tetrapoda) bis zu den Schuppenkriechtieren (Squamata)

Tetrapoda (Landwirbeltiere) [JAECKEL, 1909]

In der Gruppe Tetrapoda (tetra "vier" und pod "Fuß") befinden sich die Wirbeltiere, die vier Gliedmaßen (Extremitäten) besitzen. Aktuell zählen etwa 35.000 Arten zu den "Vierfüßern". Aus optischer Sicht passt diese Bezeichnung nicht wirklich, da sich zahlreiche Arten auf spezielle Weise an ihren Lebensraum angepasst haben. Bei den Schlangen haben sich alle vier Beine zurückgebildet, bei den Vögeln und Fledertieren haben sich die Vorderbeine zu Flügeln entwickelt. Bei den Robben haben sich die Füße zu Flossen umgestaltet. Auch die Vorderfüße der Wale und der Seekühe wurden zu Flossen, während sich die Hinterbeine zurückgebildet haben.

Die Vorfahren der Landwirbeltiere sind vermutlich Verwandte der Lungenfische, die sich mit vier bereits beinähnlichen Gliedmaßen auf dem Sumpfboden von Süßgewässern bewegten. Für eine enge Verwandtschaft sprechen weitere gemeinsame Merkmale, z.B. die Schädelstruktur und auch die Trennung von sauerstoffreichem Blut (zur Versorgung der Zellen) und sauerstoffarmen Blut (das zum Herz zurück transportiert wird) ist bei den Lungenfischen im Ansatz bereits vorhanden.

Die traditionelle Klasse der Reptilien (Reptilia) wird in der Kladistik nicht mehr verwendet, da es sich nicht um eine natürliche Gruppe handelt. Dazu müsste sie alle Nachkommen ihres letzten gemeinsamen Vorfahren enthalten, zum Beispiel die Vögel sowie einige ausgestorbene säugetierähnliche Reptilien und die heutigen Säugetiere. Das Taxon Amniota (Nabeltiere) wurde definiert, um alle rezenten Reptilien einschließlich der Säuger und Vögel sowie alle mittlerweile ausgestorbenen Nachfahren ihres letzten gemeinsamen Vorfahren abzubilden. Alle Reptilien, deren Entwicklungslinie zu den Säugetieren führt, sind heute ausgestorben und werden unter dem Taxon Synapsida geführt. Da alle rezenten Reptilien näher mit den Vögeln verwandt sind als mit den Säugetieren, werden diese unter dem Taxon Sauropsida geführt. Die im Kladogramm in roter Schrift angegebenen Taxa zählen im klassischen Sinn zu den Reptilien. Umstritten ist die Position der Schildkröten. Wir haben die in zahlreichen Publikationen vertretene Zuordnung zur Gruppe der Archosauromorpha übernommen. Es gibt aber auch die Hypothese, dass sie zur Gruppe der Lepidosauromorpha gehören.

Unter den Bezeichnungen Amphibien (Amphibia) werden die Landwirbeltiere zusammengefasst, die sich nur in Gewässern fortpflanzen können. Das trifft die rezenten Arten zu, aber nicht auf alle ausgestorbenen Vorgänger. Aus diesem Grund meint Amphibia im engeren Sinne die gesamte Gruppe. Die heute vorkommenden Amphibien (Froschlurche, Schwanzlurche und Schleichenlurche) werden daher als Lissamphibia bzw. "moderne Amphibien" bezeichnet. Der Namensbestandteil "Liss" stammt aus dem Griechischen "lissós" und bedeutet "glatt", wörtlich übersetzt wären es demnach die "glatten im Wasser und an Land lebenden". Sie sind im Kladogramm und in den nachfolgenden Erläuterungen in grüner Schrift gekennzeichnet.



Lissamphibia (moderne Amphibien oder Lurche) [HAECKEL, 1866]

Viele Arten verbringen zunächst ein Larvenstadium im Wasser und gehen nach einer Metamorphose an Land. Dieser Tatbestand erklärt den wissenschaftlichen Namen Amphibia, zusammengesetzt aus den altgriechischen Begriffen amphí (auf beiden Seiten) und bíos (Leben). Die erwachsenen Tiere bewohnen im Jahresverlauf oft sowohl aquatische als auch terrestrische Habitate. Viele Arten sind nachtaktiv, um sich vor Fressfeinden zu schützen und den Wasserverlust über die Haut möglichst gering zu halten. Amphibien gelten als die ursprünglichste Gruppe der Tetrapoden, da sie bei der Fortpflanzung auf Gewässer angewiesen sind, einige Teile ihres Skelettes nicht verknöchern sind sowie aufgrund der relativ geringen Leistungsfähigkeit ihrer Lungen und ihres Herz-Kreislaufsystems. Strukturiert werden die heute noch lebenden Amphibien in drei völlig unterschiedlich aussehende Gruppen:

  • Gymnophiona (Schleichenlurche oder Blindwühlen) [MÜLLER, 1832] bilder
    Schleichenlurche besitzen keine Gliedmaßen. Die alternative Bezeichnung "Blindwühlen" ist nicht ganz korrekt, denn blind sind die Tiere nicht. Dennoch ist ihr Sehvermögen stark eingeschränkt, oft werden nur Hell-Dunkel-Kontraste wahrgenommen. Die Wahrnehmung der Umgebung erfolgt durch Riechen und zwei Fühlern, die sich zwischen Nase und Augen befinden. Auch Bodenvibrationen werden wahrgenommen. Aktuell sind ca. 200 Arten beschrieben. weiterlesen

  • Anura (Froschlurche) [FISCHER VON WALDHEIM, 1813] bilder
    Die Froschlurche besitzen nur während der Larvenphase im Wasser einen Schwanz. Nach der Metamorphose zum Landtier ist dieser zurückgebildet. Die kräftig ausgebildeten Hinterbeine ermöglichen eine hüpfende bzw. springende Fortbewegung. Der Lebensraum ist vielfältig. Einige Arten verbleiben im Wasser, andere halten sich vorwiegend an Land auf und suchen nur zur Laichablage ein Gewässer auf. Aktuell werden ca. 5.800 Arten unterschieden. weiterlesen

  • Caudata (Schwanzlurche) [FISCHER VON WALDHEIM, 1813] bilder
    Schwanzlurche (Caudata oder Urodela) haben einen langgestreckten Körper und besitzen einen Schwanz, daher auch die Bezeichnung Schwanzlurche. Ihre Größe variiert von wenigen Zentimetern bis hin zu den großen Riesensalamandern, die 1,50 Meter erreichen können. Bei den Armmolchen fehlen die Hinterbeine, ansonsten haben alle Schwanzlurche vier in etwa gleich große Gliedmaßen, d.h. sie laufen an Land. weiterlesen 



Amniota (Nabeltiere oder Amnioten) [HAECKEL, 1866]

Die Amniota können sich - im Unterschied zu den Lurchen - völlig unabhängig vom Wasser fortpflanzen. Es gibt kein frei lebendes Larvenstadium. Die Embryonen bzw. Föten der Amniota entwickeln sich in einer mit Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser) gefüllten Amnionhöhle (Fruchtblase). Mit dieser Variante war es möglich, außerhalb des Wassers neue Lebensräume zu erschließen. Sie gelten als die ersten dauerhaften landbewohnenden Wirbeltiere. Vor ca. 300 Millionen Jahren haben sich die Amnioten in zwei Linien aufgeteilt, Synapsida (aus denen die Säugetiere hervorgingen) und die Sauropsida (aus denen die heutigen Reptilien und die Vögel hervorgingen).

  • Synapsida (Synapsiden) [OSBORN, 1903]
    Merkmal der Synapsiden ist ein einzelnes Schädelfenster im Schläfenbereich (= synapsider Schädel). Dadurch wurde der Schädel leichter, ohne dass sich dessen Stabilität verringerte. Zudem musste weniger Knochenmaterial gebildet werden. Möglicherweise entstanden zusätzliche Ansatzstellen für die Kiefermuskulatur. Die Säugetiere sind die einzigen überlebenden Synapsiden.

    • Mammalia (Säugetiere) [LINNAEUS, 1758] bilder
      Gemeinsame Merkmale der Säugetiere sind das Säugen des Nachwuchses mit Milch und das Vorhandensein eines Fells aus Haaren, das sie in Kombination mit ihrer Körpertemperatur relativ unabhängig von der Umgebungstemperatur macht. Bis auf wenige Ausnahmen sind Säugetiere lebendgebärend. Strukturiert wird die Klasse der Säugetiere in die Unterklassen:
      • Protheria (Ursäuger) [GILL, 1872]
        Die Kloakentiere sind die einzigen Vertreter der Ursäuger (Protheria). Sie unterscheiden sich von allen anderen Säugetieren dadurch, dass sie keinen lebenden Nachwuchs zur Welt bringen, sondern Eier legen. Der Name Kloakentiere beschreibt die Tatsache, dass Enddarm, Harn- und Geschlechtswege in einen gemeinsamen Ausführgang münden, der Kloake. Die insgesamt 5 rezenten Arten werden in zwei Familien unterteilt: die Ameisenigel (Tachyglossidae) und die Schnabeltiere (Ornithorhynchidae). Ihr natürliches Vorkommen beschränkt sich auf Australien und Neuguinea.
      • Metatheria (Beutelsäuger) [ILLIGER, 1811]
        Die Beutelsäuger unterscheiden sich von den Höheren Säugetieren unter anderem darin, dass die Jungtiere in einem sehr frühen, embryoartigen Stadium geboren werden und anschließend oft als passive Traglinge in einem Beutel der Mutter heranwachsen. Zu dieser Gruppe zählen u.a. Beutelteufel, Kängurus, Koalas und Wombats.
      • Eutheria (Höhere Säugetiere) [HUXLEY, 1880]
        Zu dieser Gruppe zählen etwa 94 Prozent der rezenten Säugetiere, u.a. Paarhufer, Raubtiere, Fledertiere, Rüsseltiere, Nagetiere Seekühe und Primaten.

  • Sauropsida (Sauropsiden) [HUXLEY, 1873]
    Merkmal der Sauropsiden sind zwei Öffnungen in der Wangen- bzw. Schläfenregion (= diapsider Schädel). Allerdings hat sich dieses Merkmal bei zahlreichen Arten verändert. Bei Doppelschleichen und Schlangen sind keine offensichtlichen Schläfenfenster mehr vorhanden. Auch bei den heutigen Vögeln ist diese ursprünglich Anatomie durch zahlreiche Modifikationen des Schädels im Zuge der Anpassung an das Fliegen und der Entwicklung des Bewegungsapparates des Schnabels nicht mehr erkennbar.

    • Archosauromorpha [VON HUENE, 1946]
      In Unterschied zu den Lepidosauromorpha haben die Archosauromorpha kein Brustbein (Sternum). Ihre Zähne sitzen – ähnlich wie bei den Säugetieren – in einer Kieferhöhlung und sind nicht direkt mit dem Kieferknochen verwachsen. Zu Archosauromorpha gehört die Gruppe der Archosauria mit Krokodilen und Vögeln. Die Zuordnung der Schildkröten ist umstritten.

      • Testudinata (Schildkröten) [LINNAEUS, 1758]
        Auffälligstes Merkmal der Schildkröten ist der einzigartige Panzer, der sich aus dem Rückenpanzer (Carapax) und dem Bauchpanzer (Plastron) zusammensetzt. Die ca. 340 Arten werden in zwei Unterordnungen strukturiert.
        • Halsberger-Schildkröten (Cryptodira) haben die Möglichkeit, ihren Kopf in den Panzer zurückziehen. Die Halswirbel dieser Tiere sind speziell geformt, damit sich das Rückgrat S-förmig krümmen kann. Ihr Becken ist mit dem Bauchpanzer nur durch Bänder verbunden.
        • Halswender-Schildkröten (Pleurodira) sind entwicklungsgeschichtlich jünger. Sie legen ihren Kopf seitlich unter den Panzer. Ihr Becken ist mit dem Rückenpanzer verwachsen. weiterlesen
      • Archosauria [COPE, 1869]
        Archosaurier waren während eines Großteils des Mesozoikums, das vor etwa 250 Millionen Jahren begann und vor etwa 66 Millionen Jahren endete, die dominierenden Wirbeltiere an Land und in der Luft. Zu ihnen gehören die Gruppen der Crocodylomorpha, die neben zahlreichen fossilen Arten die heutigen Krokodile enthält und die Gruppe der Dinosaurier einschließlich der Vögel.

        • Aves (Vögel) [LINNAEUS, 1758] bilder
          Gemeinsames Merkmal der Vögel sind die Flügel, eine aus Federn bestehende Körperbedeckung und ein Schnabel. Die meisten Vogelarten besitzen zur Gefiederpflege die Bürzeldrüse, eine Fett absondernde Drüse. Ihr Skelett ist leicht gebaut. Es besitzt hohle Knochen, so macht der Anteil der Knochenmasse nur 8 bis 9 Prozent der Gesamtkörpermasse aus. Sie haben ein hoch entwickeltes Zentrales Nervensystem und bemerkenswert gute Augen. Die maximale Herzschlagfrequenz ist beachtlich: bei einem Haussperling 900 und beim Blaukehl-Sternkolibris 1.260 Schläge pro Minute. Gegliedert werden die Vögel in zwei große Gruppen, die anhand der Gaumenstruktur unterschieden werden:
          • Palaeognathae (Urkiefervögel) [PYCRAFT, 1900]
            Zu den Urkiefervögeln zählen die Laufvögel (Straußenvögel, Nandus, Emus, Kiwis und Kasuare) und die Steißhühner. Insgesamt werden etwa 60 Arten aus 6 rezenten Familien den Urkiefervögeln zugeordnet.
          • Neognathae (Neukiefervögel) [PYCRAFT, 1900]
            Zu den Neukiefervögeln zählen alle übrigen Vögel mit etwa 9.000 Arten.

        • Crocodylia (Krokodile) [OWEN, 1842] bilder
          Der Körperbau der Krokodile ist stark durch die Lebensweise im Wasser geprägt. Sie besitzen einen seitlich abgeflachten Schwanz, der das schnelle Schwimmen unterstützt. Mit den hochliegende Augen und Nasenlöcher können sie fast vollständig untertauchen, aber trotzdem noch atmen und aus dem Wasser schauen. Die 25 rezenten Arten werden in drei Familien gegliedert, :
    • Lepidosauromorpha [BENTON, 1983]
      Die Lepidosauromorpha nutzen auch heute noch die Fortbewegung der frühen Tetrapoden, durch die seitliche, schlängelnde Bewegung der Wirbelsäule. Der Bewegungsspielraum der Vorderbeine wird durch das Brustbein (Sternum) erweitert.

      • Rhynchocephalia (Schnabelköpfe) oder Sphenodontia (Keilzahnige) [WILLISTON, 1925] bilder
        Die Brückenechse oder Tuatara (Sphenodon punctatus) ist die einzige rezente Art der Schnabelköpfe. Sie kommen nur auf den neuseeländischen Inseln vor. Im Unterschied zu vielen anderen wechselwarmen Reptilien sind sie selbst bei niedrigen Temperaturen aktiv und in der Lage, nach Beutetieren zu suchen. weiterlesen

      • Squamata (Schuppenkriechtiere) [OPPEL, 1811]
        Mit rund 11.000 Arten stellen die Schuppenkriechtiere einen erheblichen Teil der Landwirbeltiere. Etwa 96% aller rezenten Reptilienarten zählen zu den Schuppenkriechtieren. Die Benennung beschreibt die Beschuppung der Epidermis (= der Oberhaut). Sie dient als Schutzschild gegen infektiöse Erreger und schützt vor Austrocknung. Reptilien wachsen lebenslang. Da die Epidermis nicht mit wächst, wird sie regelmäßig erneuert. Nachdem eine neue Epidermis gewachsen ist, wird die alte Haut abgestreift, bei vielen Echsen in Fetzen. Schlangen streifen die Haut oft im Ganzen ab. Viele Geckos fressen sie unmittelbar nach der Häutung auf. weiterlesen

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