Von Vertebrata bis Tetrapoda

Die Systematik der Lebewesen - von den Wirbeltieren (Vertebrata) bis zu den Landwirbeltieren (Tetrapoda)

Vertebrata (Wirbeltiere) [CUVIER, 1812] oder Craniata (Schädeltiere) [LANKESTER, 1877]

In der Gruppe der Wirbeltiere werden die Tiere zusammengefasst, die eine Wirbelsäule haben. Das sind nach klassischem Verständnis Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische (Knochen- und Knorpelfische) und Rundmäuler.

Die Rundmäuler haben zwar eine Chorda dorsalis, aber keine Wirbelsäule. Insofern ist die Bezeichnung Wirbeltiere nicht ganz korrekt. Für alle Vertreter dieser Gruppe gilt, dass sie einen Schädel aus Knochen oder aus Knorpelgewebe haben, daher wird auch der Begriff Craniata (Schädeltiere) verwendet.

In der biologischen Systematik spielt die Bezeichnung "Fische" keine Rolle, da die unter diesem Begriff gemeinten Tiere keine geschlossene Abstammungsgemeinschaft bilden. Ansonsten müssten die Landwirbeltiere als Nachfahren der Fische in diesem Taxon enthalten sein. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter einem "Fisch" ein im Wasser lebendes Wirbeltier mit Kiemen verstanden. Im engeren Sinne kann man alle Kiefermäuler, mit Ausnahme der Landwirbeltiere, als "Fisch" bezeichnen. Rundmäuler (Schleimaale und Neunaugen) sind demnach keine Fische.



Cyclostomata (Rundmäuler oder Kieferlose) [DUMÉRIL, 1806]

  • Klasse Myxini (Schleimaale) [RAFINESQUE, 1815]
    Schleimaale sind Zwitter. Sie haben einen wurmförmigen Körper ohne Schuppen. Am vorderen Ende haben sie tastempfindliche Tentakel. Ihre Augen sind von einer Hautschicht überdeckt, ihre Sehfähigkeit ist eingeschränkt. Dafür haben sie auf ihrer Haut lichtempfindliche Rezeptoren. Ihre Hauptsinne sind Geruchs- und Tastsinn. Wenn sich Schleimaale bedroht fühlen, sondern sie aus ihren Schleimzellen ein Sekret ab. 1 Gramm Sekret reicht aus, um ca. 10 Liter Schleim zu bilden. Dadurch werden Mund und Kiemen von Fressfeinden verstopft und in den meisten Fällen stoßen die Fressfeinde den Schleim samt Schleimaal wieder aus. Schleimaale leben die meiste Zeit eingegraben im Sediment des Meeresbodens. Sie ernähren sich von kleinen Weichtieren, Würmern, Einzellern aus dem Aas am Meeresboden liegender Fische und anderer Tiere. Es sind 28 Arten beschrieben.
  • Klasse Petromyzontida (Neunaugen) [BERG, 1940]
    Neunaugen gelten als lebende Fossilien. Sie haben sich seit 500 Millionen Jahren kaum verändert. Sie besitzen einen aalartigen Körper mit einem flossenartigen Rücken- und Schwanzsaum. Zumeist werden Neunaugen circa 20 bis 75 cm groß. Sie leben als Parasiten. Ihre Wirte sind Fische. Sie haben keine Kiefer, stattdessen ist das rundliche Maul mit Hornzähnen ausgestattet. Damit saugen sie sich an den Fischen fest, saugen Blut und raspeln Fleischstücke aus ihnen heraus. Durch spezielle Substanzen in ihrem Speichel hemmen sie die Blutgerinnung, weshalb bei den Wirten keine Blutgerinnsel entstehen. Größere gesunde Fische behalten lediglich kreisförmige Narben zurück. Kleine und kranke Fische überleben gegebenenfalls nicht. Entgegen ihres Namens, haben Neunaugen nur zwei Augen. Die Tiere haben auf jeder Seite sieben Kiemenspalten, die man als Augen ansehen könnte, dazu eine Nasenöffnung und das eigentliche Auge, macht zusammen neun.



Gnathostomata (Kiefermäuler) [ZITTEL, 1879]

Charakterisierendes Merkmal der Gnathostomata (gnathos „Kiefer“ und stoma „Öffnung“ oder „Mund“) ist die Festigung der Mundränder durch gelenkig miteinander verbundene Knorpel- oder Knochenspangen. Mit einem Kiefer, der häufig Zähne besitzt, kann Nahrung ergriffen, festgehalten und zerkleinert werden.

  • Chondrichthyes (Knorpelfische) [HUXLEY, 1880]
    Chondrichthyes (von chóndros „Knorpel“ und ichthýs „Fisch“) haben ein Skelett, das aus Knorpel besteht und durch Kalkeinlagerungen eine hohe Festigkeit erhält. Knorpelfische besitzen keine Schwimmblase. Unterschieden werden Holocephali und Elasmobranchii.

    • Holocephali [BONAPARTE, 1832]
      Im Unterschied zu Plattenkiemer sind die Kiemen bei Holocephali von einem Kiemendeckel bedeckt. Seit dem Jura ist nur noch die Gruppe der Seekatzen verblieben. Seekatzen haben zwei Rückenflossen, die erste ist kurz und hoch und wird geschützt durch einen beweglichen Stachel, der in Verbindung mit Giftdrüsen schmerzhafte Verletzungen verursachen kann. Seekatzen werden auch Chimären genannt, in Anlehnung an ein Mischwesen aus der griechischen Mythologie. Ausschlaggebend waren die an eine Katze erinnernden Augen, die nagetierartigen Zähne und der lange drachenähnliche Schwanz.
      • Chimaeriformes (Seekatzen) [OBRUCHEV, 1953]

    • Elasmobranchii (Plattenkiemer) [BONAPARTE, 1838]
      Zur Gruppe der Elasmobranchii  gehören Rochen und Haie mit zusammen ca. 1.100 rezenten Arten, davon leben nur rund 30 Arten im Süßwasser, die übrigen im Meer. Gemeinsame Merkmale sind die fünf bis sieben Kiemenspalten, die keine Kiemendeckel (=knöcherne Abdeckung des Kiemenraums) haben und die Zahnleisten, in denen Zähne permanent ersetzt werden.
      • Batoidea (Rochen) [COMPAGNO, 1973] bilder
        Rochen besitzen einen stark abgeplatteten Körper und große Brustflossen, die mit dem Kopf verwachsen sind. Das Maul, die Nasenlöcher und fünf Kiemenspaltenpaare befinden sich auf der abgeflachten, meist hellen Unterseite. Auf der Oberseite befinden sich Augen und die mit einem Ventil versehenen Spritzlöcher, durch die das Wasser zum Atmen eindringt. Das obere Augenlid ist fest mit dem Augapfel verwachsen. Die Oberseite ist dem jeweiligen Lebensraum des Rochens angepasst, kann also von sandfarben gesprenkelt bis schwarz reichen. Es sind mehr als 600 Arten beschrieben.
      • Selachii (Haie) [COPE, 1871] bilder
        Es sind ca. 500 Arten beschrieben. Die kleinsten Arten kommen aus der Gruppe der Laternenhaie und erreichen nur 16 bis 20 cm. Mit einer Länge von 14 Metern und einem maximalen Gewicht von 12 Tonnen ist der Walhai (Rhincodon typus) der größte heute lebende Knorpelfisch. Interessant, dass sich ausgerechnet der größte aller Haie von Plankton und anderen Kleinstlebewesen ernährt, die sie durch Ansaugen des Wassers filtrieren. Andere Arten verlieren häufig Zähne beim Angriff auf Robben oder Fische. Hinter ihrer ersten Zahnreihe wachsen mehrere Reihen von Zähnen nach. Bricht in der ersten Reihe ein Zahn ab, rückt ein neuer Zahn nach.

  • Euteleostomi (Knochentiere) [HUXLEY, 1880]
    Im Unterschied zu den Knorpelfischen haben die Knochentiere ein vollständig verknöchertes Skelett, das sich bei einigen Arten (z. B. den Störartigen) teilweise zurückgebildet hat. Weitere Merkmale sind der mit Nahstellen versehene Schädel und das Vorhandensein einer Lunge, die sich bei vielen Fischen zu Schwimmblasen zur Regulierung des Auftriebs entwickelt hat.

    • Actinopterygii (Strahlenflosser) [COPE, 1871]
      Die Bezeichnung Actinopterygii (aktís "Strahl" und pterón "Flosse") weist darauf hin, dass die Brust- und Bauchflossen nur aus Haut besteht, die fächerförmig auf stabförmigen Trägern (=Strahlen) gespannt ist. Es sind mehr als 30.000 Arten bekannt.

      • Cladista [COPE, 1871]
        • Ordnung Polypteriformes (Flössler oder Flösselhechte) [BLEEKER, 1859]
          Die Gruppe der Flössler besteht aus den 13 Arten der Gattung Polypterus (Eigentliche Flösselhechte) und Erpetoichthys calabaricus, dem einzigen Vertreter der Gattung Erpetoichthys (Flösselaale). Der Lebensraum der Flössler ist auf Süßgewässer im tropischen Afrika begrenzt. Ihr Name (polý "viel" und pterón "Flosse") beschreibt die Rückenflosse, die aus bis zu 18 einzelnen Flösseln besteht. Flösselhechte müssen atmosphärische Luft atmen und nehmen diese über den Mund oder über die Spritzlöcher auf. Verbrauchte Luft wird über die Kiemenöffnungen abgegeben. Sie besitzen eine Lunge, aber keine Luftröhre. Die Atmung erfolgt über die Speiseröhre. Gleichzeitig erfüllt die Lunge die Funktionen einer Schwimmblase. Mit den kräftigen Brustflossen sind Flösselhechte in der Lage, außerhalb des Wassers zu bewegen.

      • Actinopteri [COPE, 1871]
        • Chondrostei (Knorpelganoiden) [MÜLLER, 1844]
          Die Bezeichnung Knorpelganoiden beschreibt das nur wenig verknöcherte Knorpelskelett in Verbindung mit den Ganoidschuppen. In der einzigen Ordnung der Knorpelganoiden sind noch zwei rezente Familien vorhanden, die Störe (Acipenseridae) mit 25 Arten und die Löffelstöre (Polyodontidae) mit 2 Arten.
          • Acipenseriformes (Störartige) [BERG, 1940] bilder

        • Neopterygii (Neuflosser) [REGAN, 1923]
          • Holostei (Knochenganoide) [MÜLLER, 1846]
            Die Bezeichnung Knochenganoide beschreibt das vollständig verknöcherte Skelett in Verbindung mit Ganoidschuppen.
            • Amiiformes (Kahlhechtartige) [HAY, 1929]
              Die Kahlhechtartigen sind urtümliche Knochenfische, die heute nur noch mit Arten der Gattung Amia vertreten sind.
            • Lepisosteiformes (Knochenhechtartige) [HAY, 1929] bilder
              Die Knochenhechtartigen sind langgestreckte Raubfische, je nach Art 90 bis 300 Zentimeter groß, mit einer schnabelartigen und mit kräftigen Fangzähnen besetzte Schnauze. Die sieben rezenten Arten aus zwei Gattungen leben ausschließlich in Nord- und Mittelamerika.
          • Teilklasse Teleostei (Echte Knochenfische) [MÜLLER, 1846] bilder
            Teleostei (telos „Vollendung“ und osteon „Knochen“) beschreibt das vollständig verknöcherte Skelett. Zu ihnen gehören ca. 30.000 beschriebene rezente Arten, das sind mehr als 96 Prozent aller lebenden Fischarten.

    • Sarcopterygii (Fleischflosser oder Muskelflosser) [ROMER, 1955]
      Die Bezeichnung Sarcopterygii (sarko "Fleisch" und pterón "Flosse") weist darauf hin, dass die stabförmige Knochenelemente in ihren Brust- und Bauchflossen von einer relativ dicken Muskelschicht umgeben sind. Unter den fossilen Vertretern der Fleischflosser sind auch die Vorfahren der Landwirbeltiere zu finden. Heute sind nur noch wenige Arten erhalten, bei den Lungenfischen sind es sechs Arten und bei den Quastenflosser zwei Arten.

      • Actinistia [COPE, 1871]
        • Coelacanthiformes (Quastenflosser) [BERG, 1937]

          Der Name „Quastenflosser“ bezieht sich auf die quastenförmige Ausbildung der Ruderflossen. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Quastenflosser vor rund 66 Millionen Jahren ausgestorben sind. 1938 wurde der Komoren-Quastenflossers (Latimeria chalumnae) im indischen Ozean vor Südafrika gefunden. 1997 wurde vor der indonesischen Insel Sulawesi eine zweite Art entdeckt und als Manado-Quastenflosser (Latimeria menadoensis) beschrieben. Das sind die einzigen bekannten rezenten Arten neben etwa 70 fossilen Arten. Quastenflosser verfügen über ein Gelenk im Schädel, das es ermöglicht, den Oberkiefer gegenüber dem hinteren Schädelteil anzuheben. Auf diese Weise kann die Maulöffnung beim Fressen vergrößert werden. Der Bau der Brust- und Bauchflossen ähnelt dem Bau der Gliedmaßen der Landwirbeltiere. Vermutlich haben frühe Quastenflosser ihre Flossen zur Fortbewegung am Meeresboden oder sogar an Land benutzt. Die dazu benötigte Lunge hat sich im Lauf der Evolution zu einer Schwimmblase gewandelt.

      • Rhipidistia [COPE, 1871]
        • Ceratodontiformes (Lungenfische) [BERG, 1940] bilder
          Die sechs rezenten Arten der Lungenfische (Ceratodontiformes oder Dipneusti) werden 40 bis 170 cm lang. Sie verfügen über Kiemen zur Atmung im Wasser und Lungen, um alle 30 bis 60 Minuten Luft von der Wasseroberfläche zu atmen. Die vier etwa gleich großen Extremitäten der Lungenfische entsprechen in Form und Lage den Beinen der Landwirbeltiere. Der Australische Lungenfisch hat einen einzelnen Lungenflügel, die afrikanischen und australischen Lungenfische haben paarige Lungen. Sie besitzen ein Lymphgefäßsystem, das man von Landwirbeltieren kennt, nicht aber von anderen Fischen. Lungenfische haben das komplexeste Genom aller bekannten Lebewesen. Ihr Erbgut ist teilweise über zwanzigmal umfangreicher als das eines Menschen. 
        • Tetrapoda (Landwirbeltiere) [JAECKEL, 1909]
          In der Gruppe Tetrapoda (tetra "vier" und pod "Fuß") befinden sich die Wirbeltiere, die vier Gliedmaßen (Extremitäten) besitzen. Aktuell zählen etwa 35.000 Arten zu den "Vierfüßern". Aus optischer Sicht passt diese Bezeichnung nicht wirklich, da sich zahlreiche Arten auf spezielle Weise an ihren Lebensraum angepasst haben. Bei den Schlangen haben sich alle vier Beine zurückgebildet, bei den Vögeln und Fledertieren haben sich die Vorderbeine zu Flügeln entwickelt. Bei den Robben haben sich die Füße zu Flossen umgestaltet. weiterlesen

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